Wer wir sind
Als Studiengangs-Initiative stellen wir die Frage nach einer selbstbestimmten Bildung im Hochschulkontext. Um einen Experimentier- und Entwicklungsraum dafür zu ermöglichen, haben wir einen Pionierjahrgang gestartet und einen eigenen Studiengang (Zertifikatsstudiengang auf BA Niveau) gegründet. So wird unser Bildungsweg zum Wagnis und zur Frage an die Zeit.
Die Teilnehmenden der Initiative Selbstbestimmt Studieren sind 30 Studierende zwischen 19 und 29 Jahren. Dazu kommen die Mitarbeiter*innen der Kueser Akademie, Christian Czesla in der Finanzberatung, das Rektorat und einige Lehrende von Hochschulen im Süden Deutschlands, sowie ideelle Begleiter wie etwa Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Im Bereich der Gesellschaftsgestaltung sind wir als Initiative im letzten Jahr vermehrt in den Dialog getreten und haben so Kooperationsgespräche mit der Perspektive auf zukünftige Zusammenarbeit mit Professor*innen in Politik- und Sozialwissenschaften, mit Mitarbeitenden von Greenpeace und freien Aktivist*innen geführt. So sind wir zum Beispiel ins Gespräch gekommen mit Eva von Redecker, die uns Ratschläge und Kontakte für die Ausarbeitung des Gesellschaftsgestaltungsteils im Modulplan gab. Außerdem sprachen wir mit Tobi Rosswog über Projekte und Erfahrungen.
Institutionen
Der Verein Selbstbestimmt Studieren e.V. trägt die Initiative von studentischer Seite. Seine Aufgabe ist es, Räume für die Idee des Selbstbestimmten Studierens zu schaffen, und sie in den gesellschaftlichen Diskurs zu tragen. Das Hauptprojekt des Vereins ist der Aufbau des Studiengangs “Philosophie und Gesellschaftsgestaltung”.
Das Philosophische Seminar ist Teil der Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte e.V., einer wissenschaftlichen Vereinigung mit Sitz in Bernkastel-Kues, gegründet als außeruniversitäre Forschungs- und Bildungseinrichtung. Das Philosophische Seminar ist eine akademische Einrichtung für Forschung, Lehre und Weiterbildung. Es ist weltanschaulich unabhängig und erhält keine staatliche oder kommunale Förderung, sondern wird aus Spenden finanziert. Als Teil der
Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte ist das Philosophische Seminar gemeinnützig.
Des Weiteren sind wir mit einer Pädagogischen Hochschule hinsichtlich einer Anbindung des Studiengangs im Gespräch.
Warum…
Philosophie – Freundschaften schließen über die Jahrhunderte hinweg – Bestärkung für verantwortliches Handeln aus Erkenntnis
von Johanna Hueck
Hannah Arendt beschreibt nach dem Ende des 2. Weltkrieges das Gespräch mit dem „inneren Freund“ als ein Bild für das menschliche Gewissen. Sie spricht diesem inneren Gespräch dasjenige zu, was den Menschen zum Menschen macht und zeigt auf, wie der Verlust dieses Gespräches ein Einfallstor für das „radikal Böse“ ist.
In begrifflicher und gedanklicher Redlichkeit erforscht Immanuel Kant sein eigenes Erkennen und stellt damit vor dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften ein gewissenhaftes Ideal voraussetzungsloser Wissenschaft auf, die den Menschen in seiner Rolle als Erkennenden in ein Selbstverhältnis und zugleich ein Verhältnis zur Wahrheit bringt, das in Zeiten von fake news ein heilsamer Spiegel sein kann.
Warum viele Menschen gemeinsam mehr erkennen, als ein Einzelner und warum sie miteinander sprechen, sich von ihren Standpunkten erzählen, den Mut haben sollen, ihren eigenen Standpunkt aufzugeben und zugleich ein gemeinsames Ziel fest im Blick halten müssen, dafür gibt Nikolaus von Kues im 15. Jahrhundert ein ebenso eindrückliches wie sprechendes Bild in seiner Schrift De visione Dei.
Die trauernde Natur begegnet Alanus ab Insulis im 12. Jahrhundert und zeigt ihm ihr wunderbares, reiches Gewand, auf dem die herrliche Vielfalt der Schöpfung zu sehen ist. Alle Pflanzen, alle Tiere erscheinen dort. Das Haupt der Natura ragt bis in das Firmament hinein und auf ihrer Krone erscheinen die Planeten und Fixsterne. Nur an der Stelle im Gewand, wo der Mensch erscheint, verläuft ein tiefer Riss. Deshalb trauert die Natur und hofft darauf, dass der Mensch aus eigener Kraft diesen Riss wieder zu heilen in der Lage ist.
Der Aufruf „Erkenne dich selbst“, der über dem Eingang des Apollon-Tempels in Delphi prangte, und seither unzählige Persönlichkeiten durch alle Jahrhunderte auf je neue und je eigene Art und Weise angesprochen hat, ist der rote Faden, der uns auch heute mit all diesen Jahrhunderten verbindet. Die Beschäftigung mit der Philosophie macht dies erlebbar und ermöglicht Freundschaften über Raum und Zeit hinweg.
Wenn wir den Reichtum dieser Geistesgeschichte kennen lernen und mit ihm in ein Gespräch treten, das sich jenseits von Geschichtsvergessenheit einerseits, und bloßer Reproduktion von Wissen andererseits verortet, dann kann uns die Verantwortung aufgehen, die wir gegenüber dieser Geschichte tragen.
Zugleich verstehen wir, wie das Denken und Handeln der Menschen sich über die Jahrhunderte gewandelt hat. Indem wir uns in die Denkformen unterschiedlicher Jahrhunderte vertiefen, werden wir beweglich in unserem eigenen Denken. Die Beschränktheit der eigenen Sichtweise wird deutlich und ein immenser Horizont offener Möglichkeiten breitet sich vor uns auf.
Verbundenheit mit der Geschichte einerseits und Offenheit der Zukunft andererseits ermöglicht ein verantwortetes Einstehen in der Gegenwart. Die Beschäftigung mit der Philosophie führt in Zeiten der allgemeinen Entwurzelung – sei sie kulturell, biographisch, geographisch – zu einer Bewegung der inneren Verwurzelung. Hier wird ein fester Punkt gefunden, von dem aus wir uns selbst gut gegründet in das Zeitgeschehen stellen und verantwortlich aus Erkenntnis handeln können. So wahr der Ausspruch von Platon auch noch heute ist, Philosophieren hieße sterben lernen, so sehr folgt daraus vor allem auch der Satz: Philosophieren heißt leben lernen!
Beitrag_Weizsäckervon Fedelma Wiebelitz (Studentin Philosophie und Gesellschaftsgestaltung)
Bildung ist ein essenzieller Bestandteil von menschlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Mit einer selbstbestimmten Bildung entwickeln wir neue Möglichkeiten, unser Studium selbstständig mitzugestalten, und uns aktiv und initiativ unseren Bildungsweg zu eigen zu machen. Dies fordert auch methodisch-didaktische Formate der gemeinsamen Gestaltung von Bildungsprozessen. In dieser Zeit stellt sich die Frage, wie wir als Menschen lernen können, uns selbst und damit die Welt selbstbestimmt und verantwortlich neu zu ergreifen, und welche Bildungsformen dafür nötig sind.
von Charlotte von Bonin (Studentin Philosophie und Gesellschaftsgestaltung)
Wenn ich heute als junger Mensch in die Welt schaue, dann erblicke ich große Herausforderungen, vor denen wir als Gemeinschaft stehen. Dazu gehört die voranschreitende Digitalisierung, die Klimakatastrophe, atomare Bedrohungen, die Globalisierung und humanitäre sowie ökologische Krisen. Hier stellt sich die Frage: Welche Fähigkeiten brauchen wir, um eine solche Welt aktiv zu gestalten? Denn eines ist klar: Wir müssen die Welt verändern, wenn wir eine Zukunft auf diesem Planeten erleben wollen.
In unserem Studiengang erarbeiten wir uns Fähigkeiten, mit denen wir Teil des Wandels in der Welt sein können. Wir lernen, selbstbestimmt, reflektiert und in Freiheit unsere Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Ein wichtiger Bestandteil für uns als Studierende ist es, die elementaren Fragen unserer Zeit zu stellen, und ein Verständnis für die aktuellen Herausforderungen zu entwickeln. In einer intensiven Auseinandersetzung mit den Komplexitäten des Anthropozän lernen wir unsere Handlungsspielräume kennen, und beginnen, den Pfad des Weltveränderns selbstständig und verantwortungsvoll zu gehen.
Pionierjahr
Wir haben angefangen: Im Oktober 2019 kamen 15 junge Menschen aus ganz Deutschland zusammen und begannen mit der Ersti-Woche und den Seminaren unseren Bildungsweg. Die Adresse: Hinterhausen 20a.
Es gibt wohl kaum einen versteckteren Ort, um eine Bildungsinitiative zu beginnen.
Jeden Monat haben wir uns für eine Blockwoche getroffen und uns dabei mit grundlegenden philosophischen Themen auseinandergesetzt, sind in die praktischen Herausforderungen der Initiative eingestiegen, haben uns mit der Thematik der selbstbestimmten Bildung beschäftigt und diese praktisch anhand unseres eigenen Prozesses als Initiative behandelt und diskutiert.
Abschließend tauchten wir in einem grundlegenden Überblick in zwei zentrale geschichtliche Phasen ein und fokussierten uns dabei auf die Frage nach geschichtlichen Veränderungen und Umbrüchen, die uns als Gruppe sehr tief beschäftigt haben. Wir schauen auf ein reiches erstes Semester zurück, mit vielen großen und kleinen Herausforderungen, Schönheiten und natürlich vielen Besonderheiten und Eigenheiten, die einem solchen Aufbruch innewohnen. Zugleich haben wir uns als Gruppe kennengelernt, sind gemeinsam in das Bildungsexperiment eingestiegen und haben uns auf die Suche begeben nach neuen methodisch-didaktischen Formaten, haben gemeinsam mit unseren Lehrenden ausprobiert, reflektiert und experimentiert. Wir gingen die ersten, noch ganz wackeligen Schritte, die langsam sicherer wurden, in einer Zeit des Neuanfangs.
Am Ende des Semesters schauten wir uns an und schauten in die Runde und staunten nicht schlecht, wieviel wir uns alle weiterentwickelt hatten. Für uns ist es deutlich: Es gibt noch unglaublich viel zu lernen und auch, wenn wir schon ein ganzes erstes Semester durchlaufen haben, sind wir erst ganz am Anfang dessen, was noch entstehen kann.
Ein Einblick in das Studium und seine Inhalte findet sich in unserem Newsletter.
Diese Initiative haben wir selbst in Zusammenarbeit mit unseren Lehrenden und unseren KooperationspartnerInnen aufgebaut. Inzwischen sind wir ein eingespieltes Team und haben die grundlegenden Strukturen der Organisation eingerichtet. Zugleich gibt es an vielen Stellen Freiraum für eigene Gestaltung. So lernen wir direkt am Leben und den darin vorgezeichneten Aufgaben: Seminarplanung und Koordination, Fundraising und Finanzierung, Verwaltung und Teamentwicklung, Website und Design, Kochen und Putzen, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit. In allen diesen Bereichen haben wir erfahrene PartnerInnen (verlinkt) gefunden, die uns tatkräftig und mit viel Erfahrung unterstützen. So können wir auch in gänzlich neue Bereiche hineinwachsen, uns in Zusammenarbeit mit bereits erfahrenen PartnerInnen praktisch erproben und anhand der gemeinsamen Arbeit in vieles hineinwachsen.
Geschichte
Im Jahr 2017 begannen wir – damals noch als Schüler*innen –, uns intensiv mit der Schulbildung auseinander zu setzen, unsere Erfahrungen zu reflektieren und unsere Kritikpunkte und Ideen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems zu artikulieren: „Stell dir vor, es ist Schule und alle wollen hin. Stell dir vor, du wirst gefragt.“ Ja, Bildung könnte schön sein, doch trotzdem gehen laut einer Studie der Jacobs Foundation 2015 in Deutschland nur 20% der Schüler*innen gerne zur Schule. Das geht anders – haben wir uns gedacht, und den Bildungsgang sowie den Verein Demokratische Stimme der Jugend ins Leben gerufen. Aus nächtelangen Diskussionen und Skype-Gesprächen ein paar weniger junger Menschen wurden konkrete Visionen und eine vielfältige Gruppe. Es folgten zahlreiche Seminare, Vorträge an Schulen, eine Kunstperformance zu “Schulgefühlen” in der Stuttgarter Innenstadt, ein Musikvideodreh und als Höhepunkt eine bunte Demonstration (“Der Bildungsgang”) für eine freie Bildungslandschaft und eine Kundgebung am 11.11.2017 in Stuttgart mit mehreren hundert Menschen.
Während vieler Seminare und Treffen haben wir diskutiert, geschrieben und Erfahrungen ausgetauscht, über die Neubewertung von Lernerfolgen und über eine konstruktive Fehlerkultur nachgedacht und anschließend unsere Bildungsvisionen formuliert und in einem Vortrag dargestellt.
Eines unserer zentralen Themen im Verein Demokratische Stimme der Jugend ist die Bildung. Wir wurden älter und die Bildung im Hochschulkontext rückte in den Fokus. Es entstand die Frage nach selbstbestimmten Formen des Studierens. Wie kann Bildung im Hochschulkontext zukunftsfähig und selbstbestimmt sein? Welche Fähigkeiten werden heute gebraucht? Eine Gruppe von jungen Menschen tat sich zusammen und ging auf unterschiedliche Bildungsakteur*innen, Professor*innen und NGOs zu.
Im September 2018 wurden in einem ersten Treffen die Möglichkeiten eines von Studierenden initiierten Studiengangs vorgestellt und diskutiert. Es entstand ein festes Team von Menschen, die sich dazu entschlossen, diese Idee weiter auszuarbeiten und eine Umsetzung anzustreben. So haben wir im September 2018 unsere Studiengangs-Initiative unter dem Motto „Selbstbestimmt Studieren“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen haben wir ein Konzept erarbeitet, die Finanzierung organisiert, die Frage nach einer universitären Anbindung diskutiert, Mitstudierende gesucht und einen Modulplan ausgearbeitet.
Da unser Konzept völlig neuartig ist, war klar: Wir müssen mit einem Pionierjahr beginnen, in dem wir neue selbstbestimmte methodisch-didaktische Formate erproben. So kann das Konzept erprobt und der Studiengang gleichzeitig weiter aufgebaut werden, während wir diesen Studiengang schon studieren – zertifiziert auf Bachelor-Niveau über die Kueser Akademie für Europäische Geistesgeschichte.
Im Mai und Juni 2019 wurden die ersten Infotage veranstaltet und junge Menschen aus ganz Deutschland kamen nach Stuttgart. Es folgten weitere Infoveranstaltungen. Bis September 2019 hatten sich 15 Studierende eingeschrieben und sich dazu entschieden, gemeinsam einen Bildungsweg zu gehen, der entsteht, indem er gegangen wird. Im Oktober wurde gemeinsam die Ersti-Woche und das erste Seminar gestaltet. Es ging los, Richtung Neuland!
Es ist Dezember 2021 und aus dem Pilotjahrgang, der 2019 startete, sind inzwischen drei ganze Jahrgänge geworden. Der Jahrgang 2019 ist losgeflogen und nach einem ersten Studienjahr, das geprägt war von vielen Ortswechseln und dem Kennenlernen verschiedener Seminarorte, landete er im Sommer 2020 im Zukunftsdorf Sonnerden in der wunderschönen Rhön. An einem festen Ort anzukommen und dort schließlich auch den Bildungsbau, unser Seminarhaus, zu beziehen, hat viel mit uns und unserem Projekt gemacht. Wir richten uns in Zimmern ein, haben einen großen Gemeinschaftsraum, Vorräte in der Küche und können uns ein Zuhause für die Bildung bauen. Dort darf der neue Jahrgang 2020 starten – obwohl das Jahr turbulent ist und Corona immer wieder unsere Pläne umwirft. Derweil wächst und stabilisiert sich unsere Initiative: Gespräche mit Hochschulen werden geführt, in Arbeitsgruppen findet die Selbstorganisation statt, wir laden Dozierende ein, machen Seminare und feilen am Modulplan. Außerdem führen wir im Frühjahr 2021 eine Vollversammlung zu Beginn jedes Semesters ein. Dort werden vor allem die Seminare, das Herzstück unseres Studiengangs, für das folgende Semester diskutiert und geplant. Im Oktober 2021 durften wir wiederum einen neuen Jahrgang begrüßen und unterhalten somit nun einen vollständigen Studiengang mit drei Jahrgängen und etwa 30 wundervollen Studierenden.
Studentische Projekte
Fridays for Future Stuttgart (Nisha und Charlotte)
Seit November 2018 sind wir aktiv in der Ortsgruppe von Fridays for Future in Stuttgart. Vom Beginn an sind wir beim Aufbau der Ortsgruppe mit dabei und unsere Arbeiten sind vielfältig: Gruppenbildung, Vorträge halten, Bildung, Demonstrationen organisieren, Social Media, Pressearbeit, Podcasts aufnehmen, Gespräche mit Politiker*innen und potenziellen Kooperationspartner*innen, Artikel für unser neues Magazin schreiben und Zuständigkeiten innerhalb der Gruppe strukturieren. Dabei erarbeiten wir uns Fähigkeiten zu basisdemokratischen Prozessen, zum öffentlichen Auftritt als Organisation und wir lernen strukturiert zusammen zu arbeiten und uns als Gruppe zu koordinieren. So haben wir gemeinsam Demos mit einer Teilnehmer*innenzahl von 6 – 30.000 organisiert.
Zum Druck!- Magazin
Zum Podcast „Trotzphase“
Zu unserer Facebook-Seite
Zu Lottes Blog „Wandelworte“
Nishas Pressearbeit:
Demokratische Stimme der Jugend e.V.
(Gina und Simon)
Wir gründeten gemeinsam mit weitere junge Menschen aus ganz Deutschland 2017 die: „Demokratische Stimme der Jugend e.V.“ um jungen Menschen eine Plattform zu geben und die Rechte künftiger Generationen im gesellschaftlichen Diskurs zu vertreten.
Gemeinsam wurde 2017 der Bildungsgang, eine Demonstration durch Stuttgart für eine freie Bildung organisiert, Kunstperformances aufgeführt, mehrer Musikvideos gedreht, Vorträge gehalten, 2 Festivals und diverse Seminare organisiert. Während der Bildungsgang – Kampagne wurde des weiteren in vielen Diskussionen und Gesprächen die “Visionen einer besseren Bildungslandschaft“ ausgearbeitet.
Künstlerisches
Freude, Trauer, Angst und Glück. Die Gefühle sind überbordend, sprudeln und sie kann sich kaum halten. Manchmal möchte sie schreien. Doch etwas hält sie zurück. Sie passt sich an, versucht nicht aufzufallen. Fast möchte sie einfach nur „normal“ sein. Was auch immer das sein mag. Wer sagt denn eigentlich, dass die von der Gesellschaft bezeichneten „Sonderfälle“ nicht die eigentlich „menschlichen“ unter uns sind? Spannend, einzigartig bist du doch, wenn du anders bist. Neu.
Angepasst? Nein. Sie will kein bequemes Leben. Veränderung trägt sie. Glühen. Anstrengungen, an Grenzen stoßen.
Das ist Leben! Aufregend, Hochgefühl, das Himmelschweben, im Strom der Inspiration baden. Als sie so aus dem Fenster starrt, sinnierend, steigen ihr mit einem Male Tränen in die Augen. Sie hat Angst.
Angst davor, irgendwann zurückschauen zu müssen und zu sehen: ich hatte ein normales, bequemes Leben. Ohne Veränderung. Angepasst. Wird es irgendwann darauf hinauslaufen? Enden alle Träume auf diese Art und Weise?
Was ist meine Aufgabe?
Wo muss ich ansetzen?
Losgehen, den Weg finden. Nach dem Unmöglichen fragend das Mögliche erkennen. Die Grenzen ausdehnen, den Konventionen so richtig einfeuern.
Es ist eine lange, schwere Suche. Voll Tod und dem intensivsten aller Leben. Eine Grenzgängerin, die Unsicherheit ist ihre Heimat. Freiheit bedeutet für sie, auf sich selbst gestellt Entscheidungen treffen zu können. Holprig ist der Pfad, noch wenige Menschen sind ihn gegangen, und das ist auch schon lang her. Lange Dornen zerkratzen auf dem Weg ihre nackten Waden, sie watet durch Flüsse, springt über eine tiefe Schlucht, wo in der Tiefe ein Bergbach tost. Sie steigt bis zu den Wolken, will dort finden, wo noch kein Mensch vor ihr gewesen ist. Langsam wird es dunkel, sie sieht im hellen Mondlicht schemenhaft die nächsten Stufen aus Stein, die sie ihrem Ziel näherbringen. Als sie die Müdigkeit packt, legt sie sich ins Heidekraut und beobachtet versonnen die glimmenden Sterne. Sie denkt an lang vergangene Zeiten, als die Menschen noch in den Sternen die Götter sahen. Die kosmische Schönheit als Ideal der Bildung ansahen, im Bewusstsein ganz im Umkreis, in der Natur. Ewig, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgend, zogen die Götter ihre Kreise am samtblauen Himmelsgrund. Zu ihnen aufschauend fanden die Seelen auf Erden ihren Weg, die Bestimmung dieses Lebens. Doch dieser Zugang ist ihr verbaut. Meistens weiß sie gar nicht, ob sie überhaupt an Götter glauben sollte? Wäre das irreführend, lähmend? Würde sie damit ihre Freiheit ein Stück mehr aufgeben müssen? Oder würde sie andere Ziele verfolgen. Es ist kalt geworden in dieser späten Mondnacht. Still schaut sie an den Himmel, das Willensfeuer wärmt ihre Brust. Die Erde schweigt.
Als die Vögel mit lautem Gesang den Morgen begrüßen, erwacht sie mit schmerzenden Gliedern. Fröstelnd streckt sie ihre kalten Glieder im Licht der ersten Sonnenstrahlen, die sanft ihre zimtfarbene Haut streichen. Der Weg ist lang und sie möchte weiter. Langsam, Schritt für Schritt wandert sie durch das hellviolette Heidekraut. Streift mit den Fingern sanft und liebevoll die schmalen Nadeln der Pinie und atmet frische Morgenluft. So geht sie weiter, die Flamme im Herzen und findet ihren ganz eigenen Weg durch eine von Verwirrungen durchzogene Welt.
Dieser Weg, den ich nun beschritten habe, bedeutet für mich vor allem eines: Verunsicherung.
Verunsicherung darüber, wohin mich dieser Weg führt, darüber, was vielleicht der beste Umgang mit so einem seltenen Weg ist, darüber, ob dieser Weg der “Richtige” ist, ob es überhaupt einen “richtigen” Weg gibt.
Aber diese Unsicherheit kann auch Antrieb sein, und in manchen Fällen ist diese Unsicherheit schlicht notwendig. Wenn wir uns als Persönlichkeiten individuell bilden wollen, ist die Verunsicherung wie ein Angebot. Das Angebot, die vorgezeichneten Wege zu verlassen, statt im Hellen durch die Stadt durch den dunklen Wald zu gehen. Denn dort hausen vielleicht keine Ungeheuer, so wie es uns in der konventionellen Bildung oft vermittelt wird, sondern seltene, wunderschöne Pflanzen, alte Bäume, allein für deren Anblick es sich schon lohnen würde und vielleicht sogar ein Schatz, von dem ich den Rest meines Lebens zehren kann. Statt für immer in gleichförmiger Sicherheit zu verharren, ist es die Möglichkeit, mich in unangetastetem Schnee auszuprobieren, kreativ auszuleben, und dort Neues zu bauen. Verunsicherung muss nicht immer mit Angst verbunden sein, auch wenn der Schluss nahe liegt. Schlussendlich stellt sich der dunkle Wald, vor dem die Eltern, Lehrer*innen, – “Autoritätspersonen” allesamt – immer gewarnt haben, als Paradies heraus, welches wegen der Angst vor dem Unbekannten immer unbekannt blieb.
Davon will ich mich nicht einschüchtern lassen. Irrungen und Wirrungen stehen bevor, und die Angst nützt mir nichts auf meinem Weg, sie lähmt, sie sagt: “lieber nicht”. Die Angst, sie rät zu den angestammten Wegen, zum wegducken, zum “Tun-was-man-dir-sagt”, und hindert mich an meiner Freiheit. Doch die lasse ich mir nicht nehmen. Die Angst ist Einbildung, die ich einreißen und aus deren Trümmern ich eine neue, von mir selbst bestimmte Bildung bauen möchte.