Wo lernen wir, die Welt zu verändern? Denn genau das wollen junge Menschen heute! – Ein Kommentar von Charlotte von Bonin
Was für eine Art von Bildung brauchen wir angesichts der Klimakrise?
Ben Engelhard vom Druck!-Magazin schreibt in seinem Artikel „Klimafreundliche Bildung“ zu dieser Frage: „[…]Das Thema Klimaschutz darf und kann nicht in einer Stunde Gemeinschaftskunde behandelt werden. Damit sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen erkennen, wie elementar der Klimaschutz für unsere Zukunft ist, und vor allem, was sie selbst beitragen können, muss zu jedem Thema immer der Zusammenhang zur Klimakrise hergestellt werden.“ Ben fordert nicht nur den ständigen Bezug aller Unterrichtsinhalte auf die Klimakrise, sondern auch die Unterstützung von außerschulischem Engagement statt Demo-Verbot. Dazu gehört auch die intensive Auseinandersetzung mit alternativen Wirtschaftsformen und aktuellen politischen Themen.
Doch reicht die reine Auseinandersetzung mit politischen Debatten aus, um demokratiefähige Bürger*innen zu bilden? Ich behaupte: Nein!
Schule macht folgsam
Unser Bildungssystem basiert auf Grundsätzen, die uns daran hindern, zukunftsfähige und selbstbestimmte Menschen zu werden. Denn: Die Schule fordert von Schüler*innen folgsam Aufgaben zu erledigen und möglichst wenig zu hinterfragen. Sie basiert auf einem System von Konkurrenz, in dem es darum geht, eine möglichst gute Note zu bekommen. Viele Kinder und Jugendliche machen ihren Selbstwert an einer derart nichtssagenden Zahl fest. Das, was in der Schule zählt, ist die Leistung, welche am Output gemessen wird, welcher möglichst identisch mit dem Stoff sein soll, den die Lehrperson den Kindern und Jugendlichen auftischt. Durch den engen, durchgetakteten Lehrplan und Stress seitens der Lehrenden gibt es meist wenig Zeit für Diskussionen und eigene Fragen der Schüler*innen. Wir sehen, unser Bildungssystem basiert auf Folgendem: Konkurrenz, Gehorsam, Kontrolle durch Prüfungen und einem Lehrplan, welcher diktatorisch umgesetzt wird.
Sind diese „Werte“ zukunftsfähig?
In einer sich transformierenden Welt wie der heutigen brauchen wir selbstdenkende Individuen, welche die Fähigkeit haben zusammenzuarbeiten, mitzuentscheiden und die richtigen Fragen zu stellen. Doch wo sollen wir das lernen, wenn in der Schule Fragen unerwünscht und Mitentscheiden unmöglich ist? Wie sollen wir demokratiefähige Bürger*innen werden, wenn wir in einer Bildungsdiktatur aufwachsen? „Als ich in der Schule war, gab es keine Möglichkeiten viele Fragen zu stellen. Meistens wurden Fragen direkt abgewürgt und gesagt, dass passe nicht in den Lehrplan“, erzählt Mia, eine junge Aktivistin. (1) Sie blickt mich nachdenklich an. „Eigentlich hätte ich gerne gelernt, wie man Gemüse anbaut, wie ich mich bei politischen Entscheidungen einbringen kann, welche Rechte ich in diesem Land habe und wie wir uns als Gruppe organisieren können. Ach, ich find das so dumm, dass ich in der Schule nie entscheiden durfte, mit was ich meine Zeit verbringe. Heute erinnere ich mich an fast gar nichts mehr von dem, was die Lehrer*innen so geredet haben. Nur an die Angst vor den Prüfungen und den ständigen Leistungsdruck. Ich habe zwölf Jahre nur gehofft, dass es endlich vorbei ist.“
Damit ist Mia sicherlich nicht allein. Die Angst nicht genug zu sein und zu viele Fragen an die Welt zu haben ist weit verbreitet. Doch genau diese Fragen waren es, die im Zuge der Fridays for Future Proteste Millionen von Kindern und Jugendlichen auf die Straßen gebracht haben. Und genau diese Fragen sind es, die wir heute stellen müssen. Denn: So weitermachen wie bisher wäre das Todesurteil der Menschheit. Viel muss sich verändern. Auch und vor allem das Bildungssystem, obwohl es auf den ersten Blick scheinbar nichts mit den Klimaschäden und deren Ursachen zu tun hat.
Die Relevanz von Bildung für gesellschaftlichen Wandel
Die Bildung ist ein Schlüsselelement von gesellschaftlichem Wandel. Durch sie werden wir für unser gesamtes Leben geprägt. Wir lernen, was von Anderen als wertvoll empfunden wird, was im Zusammenleben mit anderen Menschen wichtig ist und wie wir uns in der Welt „da draußen“ zu verhalten haben. Bislang haben die jungen Menschen, um die es in der Schule eigentlich geht, nämlich Schülerinnen und Schüler wenig zu mitzureden, wenn es um ihre Bildung geht. Doch im Mitentscheiden über Lerninhalte und über didaktische Lehrformen wäre eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, demokratiefähig und selbstständig zu werden. Menschen lernen dann zu entscheiden und mitzuarbeiten, wenn ihnen das zugetraut wird und sie merken: Ich habe eine Stimme, die zählt. Wenn die Inhalte selbstbestimmt entschieden werden, dann kann ein nachhaltiger Lernprozess entstehen. Denn an das, was wirklich mein Interesse weckt, erinnere ich mich und es erhält mir meine Neugierde an der Welt. Die Neugier kann durch einen überwältigenden Haufen an Antworten auf Fragen, die ich nicht gestellt habe, abgetötet werden. Und so werden viele Schüler*innen passiv und beginnen den Unterricht an sich vorbei ziehen zu lassen, denn es geht ja gar nicht um sie. Sie werden oft nicht als Mensch angesprochen, sondern werden wie ein leeres Gefäß behandelt, welches mit dem ganzen Stoff des Lehrplans aufgefüllt wird, um dann alles bei den Prüfungen möglichst unverdaut wieder zu entleeren.
Menschenbildung statt Massenabfertigung
So sollte das Ziel von Lernen nicht die gut abgelieferte Prüfung sein, sondern die Fähigkeitsbildung. Es sollte nicht um die Inhalte gehen, sondern um die Menschen, die zusammenkommen und ihre individuellen und gemeinsamen Fragen. Wenn mensch mitentscheiden kann, dann entsteht plötzlich Eigenverantwortung und die Konsequenz der eigenen Entscheidung. Der junge Mensch lernt: Ich muss Verantwortung für meine Entschlüsse übernehmen, es liegt in meiner Hand und ich trage die Konsequenzen für meine Entscheidungen. Und das ohne Stress und Leistungsdruck, denn diese ersticken die eigenen Fragen und den Mut, diese zu stellen. Ich kann an mir selbst oft merken, dass meine Fragen in der Schule keinen Platz fanden. Ich hatte Angst, dumm zu wirken, wenn ich sie stellte. Mir fällt es schwer, überhaupt Fragen zu formulieren.
Die Frage nach einer zukunftsfähigen Bildung beschäftigt nicht nur mich sondern unzählige Aktivist*innen, Philosoph*innen und die Politik. Durch mein Engagement bei Fridays for Future Stuttgart und der Demokratischen Stimme der Jugend lernte ich eine Gruppe von Jugendlichen kennen, die einen eigenen und selbstbestimmten Studiengang aufbauen. Im Oktober 2019 startete ein Pionierjahr und ich war natürlich dabei! Durch mein selbstbestimmtes Studium mit dem Titel „Philosophie und Gesellschaftsgestaltung“ lerne ich schrittweise, meine eigenen Fragen zu stellen. Ich kann plötzlich mitentscheiden, worum es in den Seminaren geht. „Das Besondere an diesem Studiengang ist, dass er mich betrifft, dass er etwas mit mir als Mensch zu tun hat“ sagt Nisha, eine Kommilitonin aus meinem Studiengang.
Eine Bildungsvision
Die Bildung der Zukunft muss also anders aussehen als heute. Denn heute sind Menschen gefragt, die entscheidungsfähig, selbstständig und mit Initiativkraft handeln. Dass die Bildung ein Schlüsselelement von sozial-ökologischem Wandel sein muss, ist keine leere Phrase, sondern ein wichtiger Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Nur so lernen die Menschen, die später die Gesellschaft ausmachen, diese auch aktiv zu gestalten und nicht nur das Bekannte zu reproduzieren, in Konkurrenz zueinander.
Meine Schule der Zukunft stellt deswegen nicht irgendwelche Lerninhalte, die seit 20 Jahren die Gleichen sind, in den Mittelpunkt, sondern Schülerinnen und Schüler. Die Lernwege der Zukunft sind so individuell, wie die Menschen sind, mit einem starken Fokus auf gemeinsame Fragen, Lernprojekte und Möglichkeiten, sich selbst zu erfahren. Das Ziel einer solchen Bildung ist kein Abitur oder ein vorgefertigter Beruf. In einer schnelllebigen Zeit sind feste Berufsbilder in Zukunft sowieso nicht mehr vorauszusehen. Wir sollten stattdessen die Schule als Möglichkeit zur Fähigkeitsbildung, und als geschützten Raum betrachten, worin die Schüler*innen ihre Fragen vertieft bearbeiten dürfen und lernen, gemeinsam zu denken. Denn darin liegt doch letztendlich unsere Stärke als Menschheit: Gemeinsam Lösungen finden in Krisenzeiten.
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