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Wasser & Sand
Ein Beitrag von Josef Stiegler, Studierender
Wie geht eigentlich wirkliches Denken? Im Seminar „Selbstbestimmte Bildung“ mit Harald Schwaetzer wurde deutlich, dass das Aufbauen von Strukturen nur die eine Seite der Medaille ist. Wenn Denken wahrhaftig sein soll, dann muss die Struktur in ein Spiel mit der Kraft der Wirklichkeit kommen. Als ich selbst dieses Wechselspiel erlebte, stieg ein Bild aus der Kindheit in mir auf. Ich versuchte, mit dessen Hilfe mein Erleben dieses Prozesses nachvollziehbar zu machen.
Wasser & Sand Wir bauen Kanäle aus Sand. Lange sind wir beschäftigt, Staubecken, Schleusen und Mauern zu errichten. Doch ohne Wasser ist noch alles einfach, man hat genug Zeit. Jetzt sind alle Bauwerke fertig und es wird klar, dass wir Wasser brauchen. Mal sehen, wie gut unser Gebäude der Realität standhält. Wir legen die Rinne vom Brunnen zum Sandkasten und fangen an zu pumpen. Doch zunächst kommt nichts. Die Pumpe wurde schon lange nicht mehr benutzt, der Gummi ist ausgetrocknet, der Wasserspiegel abgesunken. Doch nachdem, wir uns lange genug ins Zeug gelegt haben, ertönt ein Röcheln in der Pumpe und plötzlich fließt das Wasser. Die Spannung wird greifbar. Die zunächst noch rostbraune Brühe läuft auf den Sandkasten zu. Jubelschreie, wir haben es geschafft! Das Wasser wird klarer und füllt das erste Sandbecken. Wir öffnen einen Damm und das Wasser sucht sich seinen Weg in die nächste Rinne. Dabei verformt es unsere vorgedachten Wege mit seinem Schwung immer ein wenig. Doch es versickert auch rasch. Mehr Wasser! Wir pumpen. Ein neuer Schwall ergießt sich in den Sandkasten.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein Damm ist gebrochen. Panik verbreitet sich. Wir versuchen, das Gebäude im laufenden Betrieb zu reparieren. Das Wasser wird vorübergehend umgeleitet. Doch es ist zu viel Wasser, wir können nicht mehr damit umgehen. Weniger Wasser! Aber so einfach kann die Menge nicht reguliert werden, das Wasser hat seine ganz eigene Kraft und Dynamik. Ein Damm nach dem anderen bricht. Die Sache gerät außer Kontrolle. Panik verwandelt sich in Ärger.
Als das letzte Wasser versickert ist, liegt eine Kraterlandschaft vor uns. Alles ist wieder fest, doch das Wasser hat seine unübersehbaren Spuren hinterlassen. Wir sind erschöpft und aufgewühlt. Das nächste Bauwerk soll besser halten und der Gestaltungskraft des Wassers einen starken Boden bieten.
Wird uns der Ärger über das Wasser irgendwann dazu bringen, das Bauwerk zu betonieren, sodass es unsere Strukturen nicht mehr verformen kann? Oder dass wir die Pumpe gar nicht erst in Betrieb nehmen?
Oder werden wir abenteuerlustig und setzen den kompletten Sandkasten unter Wasser, sodass gar keine Form mehr übrig bleibt?
Oder schaffen wir es, im entscheidenden Moment präsent zu bleiben, und dem Wasser Raum zum Fließen und Gestalten zu geben?